Aufgaben der Schulpflege
Schul- und Unterrichtsbesuche
Allgemeines
Die Schulpflege leitet und beaufsichtigt die Schule (§ 42 VSG). Bis zur Einführung der Geleiteten Schule war der «Schulbesuch» (Besuch im Unterricht) das Instrument der Schulpflege zur Beaufsichtigung der Schule. Mit dem Rückzug der Aufgaben auf die strategische Ebene hätte man konsequenterweise den Schulbesuch als operative Aufgabe allein an die Schulleitung delegieren können. Welcher Verwaltungsrat besucht denn schon regelmässig den Arbeiter an der Werkbank? Man hat den Schulbesuch aus gutem Grund nicht aus dem Pflichtenheft der Schulpflege gestrichen. Sie trägt die Gesamtverantwortung für die Schule und muss sich ein realitätsbezogenes Bild verschaffen. Sie muss sich auch selbst davon überzeugen können, dass ihre Beschlüsse eingehalten, die der Schule zur Verfügung gestellten Mittel zweckmässig verwendet und die im Schulprogramm definierten Ziele und Massnahmen umgesetzt werden. Ergänzend zur Rechenschaftslegung durch die Schule sind die Schulbesuche daher ein wichtiges Mittel, um diesem Auftrag nachzukommen.
Die Schulpflege führt regelmässig Schulbesuche durch (§ 42 Abs. 2 VSG). Unterrichtsbesuche sind als Teil dieser Schulbesuche zu verstehen. Nebst den generellen Schulanlässen, wie Schulbesuchstage, Schulfeste, Projekttage, geben vor allem auch der jährliche Evaluationstag, Sitzungen der Schulkonferenz sowie Weiterbildungstage Einblick in die Arbeit und Weiterentwicklung der Schule. Die punktuelle Teilnahme, in Absprache mit der Schulleitung und den Mitgliedern der Schulkonferenz, sind daher hilfreich und sinnvoll.
Die Unterrichtsbesuche geben Ihnen als Schulpflegemitglied Einblick in den Alltag der Schule und die Möglichkeit, die Lehrpersonen kennen zu lernen und deren Anliegen aufzunehmen. Was bedeutet es, mit Kindern und Jugendlichen zu arbeiten, sie zum Lernen zu bringen? Sie stellen fest, dass sich die Schule seit Ihrer eigenen Schulzeit stark verändert hat. Die Lehrperson erklärt Ihnen wie und weshalb, kann sich gegenüber der «Arbeitgeberschaft» präsentieren und Vorurteile abbauen, die Sie vielleicht haben. Wenn Sie den Betrieb und die darin engagierten Personen persönlich kennen, können Sie die Schule überzeugender führen und glaubwürdiger gegen aussen vertreten, gegenüber der Bevölkerung, die Sie gewählt hat und wohl auch gelegentlich Vorurteilen unterworfen ist.
Im Fokus der Unterrichtsbesuche stehen nicht in erster Linie methodisch-didaktische Aspekte. Wichtig ist, dass Sie ein Bild über den Schulalltag erhalten und sich versichern können, dass die gesetzten Entwicklungsschwerpunkte im Rahmen der Schulprogrammarbeit spürbar umgesetzt werden. Zudem kann in Rücksprache mit der Schulleitung auch auf Fragestellungen, die aus Sicht der Schulleitung aktuell sind, geachtet werden. So wird die Schulpflege zum Gesprächspartner der Schulleitung auch im Bereich der Personalführung.
Die Schulleitung fokussiert bei ihren Unterrichtsbesuchen vor allem auf die methodisch-didaktischen und pädagogischen Bereiche, zu denen sie vor ihrem professionellen Hintergrund in der Lage ist, Rückmeldungen zu geben. Sie behält dabei sowohl die individuellen Zielsetzungen der Lehrpersonen als auch die gemeinsam im Schulprogramm verankerten pädagogischen Schwerpunkte der Schule im Auge. Die Schulleitung erhält durch ihre Unterrichtsbesuche Hinweise, die sie beim nächsten Zielvereinbarungsprozess einbringen kann.
Da verschiedene Personen an den Schul- und Unterrichtsbesuchen beteiligt sind, braucht es eine von der Schulpflege in Zusammenarbeit mit den Schulleitungen verabschiedete Besuchsordnung. Hier werden auch Regeln und Absprachen mit der Schulleitung festgelegt (Zuteilung und Anzahl Besuche, zusätzliche Besuche, Voranmeldung?, Abwesenheitsmeldung, Vorgehen bei besonderen Beobachtungen, Beobachtungsschwerpunkte, Informationswege, usw.). Als neues Schulpflegemitglied lassen Sie sich darüber informieren. Ihre eigenen Ideen bringen Sie ein, wenn Sie Erfahrungen gemacht haben.
Wenn – wie oben ausgeführt – das Methodisch-didaktische bei Ihren Unterrichtsbesuchen nicht im Vordergrund steht, soll das nicht daran hindern, dass Sie sich auch in diesem Bereich etwas kundig machen, damit Sie nicht als «ganz blutiger Laie» dastehen. Der Unterrichtsbesuch muss vorbereitet sein. Worauf sollen Sie schauen? Sie sollten in der Lage sein, der besuchten Lehrperson Fragen zu stellen, wenn Sie etwas Besonderes beobachtet haben. Im Anschluss an den Besuch führen Sie mit der Lehrperson ein kurzes Gespräch über Ihre Eindrücke und lassen sie nicht einfach stehen. Die nachfolgenden Ausführungen zum Unterrichtsbesuch sollen Ihnen eine Hilfestellung sein. → Lehr- und Lernformen
Vorbereitung
Werden Sie sich bewusst, in welcher Rolle Sie auftreten. Sie sind beim Schulbesuch ein Behördenmitglied, allenfalls mit einer speziellen Verantwortung, die sich aus Ihrem Ressort ergibt. Sie treten nicht als Mutter, Nachbar, Turnkollegin oder Gewerbetreibender auf, obwohl Ihr persönlicher und beruflicher Hintergrund die Art, wie Sie Ihre Rolle gestalten, sicher beeinflusst. Beim Schulbesuch gehen Sie auf Erkundigung, auf Datensammlung. Die Eindrücke werden Ihr Bild von der Lehrperson und der Schule festigen oder verändern. Versuchen Sie, offen zu sein für alles, was auf Sie zukommt. Nehmen Sie eine neugierige, interessierte und fragende Haltung ein. Versuchen Sie, vorgefasste, fixe Bilder zu verscheuchen.
Wie gestalten Sie den Beginn des Besuchs? Ist der Treffpunkt im Lehrerzimmer oder warten Sie vor dem Klassenzimmer? Erscheinen Sie frühzeitig und fragen die Lehrperson noch kurz nach ihrem Vorhaben oder klopfen Sie fünf Minuten nach Lektionsbeginn an die Türe? Was teilen Sie von sich selbst mit? Wann künden Sie das anschliessende Gespräch an?
Versetzen Sie sich kurz in die Lage der zu besuchenden Lehrperson: Was weiss sie von Ihnen? Welche Erwartungen hat sie wohl an die Schulpflege? Was kann sich durch Ihren Besuch während der Stunde verändern? Welche Gefühlslage finden Sie wohl vor? Und aus Ihrer Sicht: Welche Geschichte haben Sie bereits mit der Lehrperson? Welche vorgefasste Meinung könnte Ihre Beobachtungen beeinflussen?
Überlegen Sie im Voraus, wo Sie gerne sitzen, um gut beobachten zu können. Oder wollen Sie die Perspektive mehrmals ändern? Welche weiteren Unterlagen interessieren Sie: Ordner, Hefte, Elternbriefe …?
Beobachten und wahrnehmen kann auf verschiedene Arten geschehen. Wollen Sie zufällige Eindrücke sammeln oder wählen Sie von vornherein einzelne Beobachtungsschwerpunkte aus? Wie halten Sie Ihre Beobachtungen fest? Das Unterrichtsprotokoll ist eine Möglichkeit, vielleicht haben Sie ein eigenes Instrument oder Ihre individuelle Methode des Vorgehens. Wichtig ist dabei, dass Sie die wesentlichen Schwerpunkte erfassen, in einer gewissen Weise systematisch vorgehen und dadurch Material für das anschliessende Gespräch mit der Lehrerin oder dem Lehrer sammeln.
Durchführung
Was lässt sich beim Unterrichtsbesuch beobachten?
Das Unterrichtsgeschehen und damit das Lernen im Klassenverband ist äusserst komplex und von verschiedenen Einflussfaktoren bestimmt, die gegenseitig in Beziehung stehen:
Als zweckmässige Grundlage zur Grundbesinnung über das Unterrichtsgeschehen kann das erweiterte didaktische Dreieck verwendet werden. Die Dreifachbeziehung Stoff – Lehrperson – Schüler/in wird durch das Umfeld erweitert, das Rahmenbedingungen und äussere Einflüsse beschreibt. Das didaktische Dreieck vermag sowohl unterrichtliche und erzieherische Faktoren anschaulich darzustellen wie eine wesentliche Hilfe zur gezielten Beobachtung auf allen Schulstufen zu leisten.
Das didkatische Dreieck
Beobachtungsschwerpunkte
Die unten aufgeführten Leitfragen sind auf das erweiterte didaktische Dreieck abgestimmt und helfen Ihnen, das Beobachtungsfeld zu differenzieren. Ein Ziel Ihres Schulbesuches besteht darin, als Beobachterin oder Beobachter einzelne Fragen beantworten zu können. Die Leitfragen steuern die gezielte und bewusste Unterrichtsbeobachtung und lenken Ihr Vorgehen. Die Liste der Fragen ist ein Angebot, ein Auswahlkatalog. Beim ordentlichen Unterrichtsbesuch ist es weder möglich noch sinnvoll, alles auf einmal zu beobachten. Es empfiehlt sich, einzelne Bereiche auszuwählen oder mit der Lehrperson zusammen vorgängig zu vereinbaren.
Als beobachtende Person sind Sie immer ein Teil des Geschehens, denn jede weitere Person verändert eine Situation. Zudem beobachten Sie aus Ihrer Rolle als Aufsichtsperson und auf dem Hintergrund Ihrer Werte und Normen. Dies wird oft als Brille beschrieben. Welche Brille tragen Sie (heute)?
Leitfragen zum Unterrichtsbesuch
Stoff und Methodik-Didaktik
Ziele
- Welche Ziele werden angestrebt?
- Sind die von der Lehrperson angestrebten Ziele/Teilziele den Schülerinnen und Schülern und damit auch mir als Besucher/in klar?
Inhalt
- Mit welchen Inhalten (Themen) wird an den gesetzten Zielen gearbeitet?
- Ist meines Erachtens der Unterrichtsgegenstand so ausgewählt, dass die Schülerinnen und Schüler eine Beziehung dazu haben oder aufbauen können?
- Sind die Inhalte bedeutsam für die heutige Zeit, entsprechen sie dem Lehrplan?
Methoden
- Welche verschiedenen Unterrichtsformen wählt die Lehrperson?
- Welche Arbeitsformen (Einzel-, Partner-, Gruppenarbeit …) werden genutzt?
- Wie ist die Art und der Anteil der Schüleraktivitäten, der Lehreraktivitäten?
- Wie findet die Rhythmisierung des Unterrichts statt?
Lehr- und Lernmittel → Lehrmittel
- Welche Hilfsmittel setzt die Lehrperson ein?
- Wozu dienen diese Hilfsmittel?
- Inwiefern wird damit eine Aktivierung der Schülerinnen und Schüler erreicht?
Schüler/innen und Gestaltung des Lernprozesses
Einzelne Schüler/innen
- Welche Gefühlslage und Lernerwartung nehme ich wahr?
- Wie ist das Lern- und Arbeitsverhalten?
- Wie wird auf die individuellen Bedürfnisse der einzelnen Schülerinnen und Schüler eingegangen?
- Fallen einzelne Schülerinnen und Schüler in irgendeiner Weise auf? In welcher? Vermutete Ursachen?
- Zeigen einzelne Schülerinnen und Schüler besondere Schulleistungen? Welche?
- Wirken einzelne Schülerinnen und Schüler über- oder unterfordert? Wie zeigt sich dies?
Die Gruppe der Schüler/innen
- Wie ist die Zusammenarbeit unter den Schülerinnen und Schülern?
- Wie wird der Kontakt der Schülerinnen und Schüler untereinander gefördert?
- Wie ist der Umgang von Knaben und Mädchen?
- Zeigen sich Spannung und Konflikte zwischen einzelnen Schülerinnen und Schülern oder Schülergruppen? Wenn ja, wie äussert sich dies?
Gestaltung des Lernprozesses
- Wie wird das individuelle Lernen der Schülerinnen und Schüler gefördert?
- Wie werden die Schülerinnen und Schüler in die Gestaltung des Lernprozesses mit einbezogen (Gelegenheit, Vorschläge zu machen, bei Entscheidungen mitzuwirken, Teilverantwortung zu übernehmen)?
- Erhalten die Schülerinnen und Schüler genügend Zeit zum Nachdenken, Diskutieren und zum selbstständigen Arbeiten?
- Wie sind die Heftgestaltung und die inhaltlichen Hefteinträge?
- Wie überprüft und beurteilt die Lehrperson die Lernfortschritte, den Unterrichtserfolg ihrer Schülerinnen und Schüler?
- Welche Formen von Lernkontrollen werden eingesetzt?
Lehrer/in und erzieherische Aspekte
Die Lehrperson
- Wie schätze ich die Fachkompetenz der Lehrperson ein
- Wie klar und nachvollziehbar sind die Stoffpräsentationen und Arbeitsanweisungen?
- Wie ist das Frageverhalten der Lehrperson (offen, klar, zum Nachdenken anregend)?
- Hat die Lehrerin, der Lehrer den Überblick über das Klassengeschehen?
- Wie ist das Auftreten der Lehrperson (sicher, freundlich, bestimmt …)?
- Welchen Erziehungs-/Führungsstil nehme ich wahr?
- Sind Wertschätzung und Wohlwollen, aber auch Grenzsetzung und Absprachen vorhanden?
Erzieherische Aspekte
- Wie ist der Umgang zwischen Lehrperson und Schülerinnen, Schülern (verbale, nonverbale Kommunikation)?
- Welche Einstellung und welches Interesse zu Schule, Eltern, Schülerinnen und Schülern, Kolleginnen und Kollegen entnehme ich den Äusserungen der Lehrperson?
- Wie ist die Arbeitsatmosphäre? Wodurch wird sie geprägt? Was beobachte ich konkret?
- Wie findet die Lehrperson den Kontakt zu den Schülerinnen und Schülern?
- Wie geht die Lehrperson mit plötzlich auftretenden, kritischen Situationen um?
- Welche Klassenregeln bestehen? Wie sind sie entstanden?
Umfeld
Infrastruktur, Rahmenbedingungen
- Wie wirkt die Raumgestaltung auf mich?
- Entspricht die Infrastruktur den Bedürfnissen von Lehrperson Schülerinnen und Schülern?
- Sind die Unterrichtsmittel auf dem aktuellen (technologischen) Stand?
- Welchen Einfluss hat die aktuelle Situation (Tageszeit, Wetter, Raumverhältnisse, spezielle Vorkommnisse …) auf die Unterrichtssituation?
Äussere Einflussfaktoren
- Welche Schulhauskultur ist beobachtbar?
- Beeinträchtigen Konflikte mit Kolleginnen und Kollegen, Eltern, Behörden die Arbeit im Klassenzimmer? Wenn ja, welcher Art sind sie?
- Wie ist das Verhältnis der Lehrperson zu den andern Kolleginnen und Kollegen, zu der Behörde?
- Wie ist die Zusammenarbeit mit den Eltern?
- Welche Ausseneinflüsse sind wahrnehmbar (Medien, Gewalt, Suchtmittel oder Ähnliches)?
- Welche aktuellen Trends in der Bildungspolitik zeigen sich im Klassenzimmer?
Notizen
Der Raster für schriftliche Notizen während des Schulbesuchs ermöglicht eine sinnvolle Ordnung der Beobachtungen, dient als Gedächtnisstütze und strukturiert das anschliessende Gespräch mit der Lehrperson. Auch wenn es oft schwerfällt, wesentlich ist dabei, dass Beobachtung und Beurteilung getrennt werden. Beurteilung ist letztlich Sache der Schulleitung.
Das Gespräch nach dem Unterrichtsbesuch
Im Anschluss an jeden Unterrichtsbesuch findet ein Gespräch mit der Lehrerin oder dem Lehrer statt. Mit diesen Gesprächen schaffen Sie eine gemeinsame Basis, die hoffentlich in stürmischen Zeiten trägt. Die Länge des Gesprächs hängt oft von den zeitlichen Möglichkeiten der Lehrperson ab, deshalb empfiehlt es sich, einmal im Jahr ein längeres Gespräch, eventuell koordiniert mit dem Schulbesuch der Schulleitung, anzumelden. Im Gespräch nach dem Schulbesuch, auch wenn es bloss zehn Minuten dauert, sollen sowohl die Lehrerin, der Lehrer wie auch Sie als besuchendes Behördenmitglied zu Wort kommen. Fallen Sie nicht mit der Türe ins Haus. Als Neumitglied der Behörde oder beim ersten Besuch bei einer Lehrperson geht es vor allem um Kontaktaufnahme und Vertrauensbildung. Der Grundstein für eine gute Zusammenarbeit ist Ihre unvoreingenommene, interessierte und fragende Haltung. Die Lehrperson hat Anrecht auf Wohlwollen gegenüber ihrer Person und Wertschätzung ihrer Arbeit. Sobald Sie Ihrer Beobachtungen sicher sind, sprechen Sie auch Kritisches offen und klar an. Wichtig: Die Gesprächsleitung beim Gespräch nach dem Schulbesuch liegt beim Behördenmitglied.
Weiterführende Informationen
Vettiger, Heinz. Schule pflegen – aber wie? Aarau: Lehrmittelverlag des Kantons Aargau, 2000